Nordwand Solo-Trilogie
Solos : Les Courtes, Les Droites, Aig. Verte Nordwände
--- Text: Felix Berg (2011) / Bilder: Keine gemacht.
Der Winter ist vorbei. Dieser Bericht über meine letzte Saison, die durch die Solobegehung dreier Nordwände im Argentiere-Kessel abgerundet wurde, soll auch meine Perspektive zum schnellen Soloklettern darlegen.
Meine Wintersaison 2011 begann im Dezember - mit gemütlichem Eis- und Mixedklettern bei Kandersteg in der Schweiz. An einem Wochenende im Januar folgten dann das Supercouloir (direkt) & das Dru Couloir. Anfangs fühlte ich mich nicht sonderlich fit, aber Kletterpartner David zeigte, warum er sich zum Bergführer ausbilden lässt: Er führte und motivierte mich souverän. In den darauf folgenden Wochen arbeitete ich für SummitClimb in Afrika. Die Reise begann gut. Nach einem Gipfelerfolg am Nelion (5189m) glückte uns die Überschreitung der Mondberge vom Kongo nach Uganda. Wir konnten diese bereits 2009 erstmals durchgeführte Überschreitung perfektionieren und den höchsten Punkt des Gebirges, den Mount Stanley (Marg. Peak, 5109m) erreichen. Doch dann, stolperte ich beim Abstieg ins Tal. Schmerzen im Oberschenkel. Muskelanriss. Bis Mitte März bemühte ich mich fleißig mit Reha-Training und Büroarbeit. Zwei Wochen Sportklettern in Spanien brachten mich schließlich wieder etwas in Form (7c on sight) und endlich ging's wieder in den Schnee und ins Eis. David war verliebt, diesmal nicht in die Berge. Doch mit Arne hatte ich schnell einen soliden Ersatzpartner gefunden.
Frühling. Erst anfangs April und doch, der Sommer war eigentlich schon da. Knapp 30 Grad (über Null!) in Chamonix, aber es gab immer noch genügend Eis zum Klettern. Zum Aufwärmen die `Late To Say…‘ (M7, Wi5) an der Aig. Vertes. Die Verhältnisse waren leider nicht mehr optimal; es hatte weniger Eis als im Hochwinter. Ansturm auf die Ginat. Morgens um 4.00 sah es im Einstieg der berühmten Droites-Nordwand-Route aus, wie im Hochsommer auf dem Mont Blanc Normalweg. Herdentier Mensch. Mindesten 10 Seilschaften waren schon unterwegs, vor uns in die Route eingestiegen. Spontan disponierten wir um, schliefen noch eine Stunde und kletterten den Richard Cranium Memorial Weg. Der lange Zustieg und die 6 Seillängen führten uns durch die rechte Seite der Droites Nordwand. Wir waren recht langsam und der nordseitige Abstieg durch das Col du Verte Couloir zog sich hin. Wir erreichten unser Zelt schließlich um 23:00 Uhr nachts und ruhten uns am nächsten Tag bei sommerlich sonnigem Wetter aus.
Für den nächsten Tag fehlte uns irgendwie ein gemeinsames Routenziel und so kam es, dass wir beide Solo loszogen. Arne machte eine Skitour, ich kletterte die Schweizer Führe durch die Courtes Nordwand. Ich wollte schnell unterwegs sein. Um 7:00 überquere ich den Bergschrund. In der steilsten Seillänge holte ich ein Pärchen ein - die einzige Seilschaft in der Wand. Nach 1h42min auf dem Grat, nach 1h52min am Gipfel: allein kletternd ging es tatsächlich schnell und zügig voran. Abstieg über die NO-Flanke, nach 2h58min wieder unten. Anschließend ging ich auf die Ref. d’Argentiere und wurde dort herzlichst zum Café eingeladen.
Der Flow berauscht. Es ist ein schönes Gefühl, nur noch zu klettern. In den Fluss kommen - nicht zu schnell, genau so dass die Kontrolle immer bleibt, der Körper aber am Limit arbeitet. Das ist die Herausforderung. Objektiv fülle ich mich sicher, setze mich durch die gewonnene Schnelligkeit auch weniger den klassischen alpinen Gefahren wie Steinschlag, Lawinen oder einem Wetterumschwung aus. Und es folgt eine Euphorie. Als ich nach der Courtes Nordwand am späten Vormittag auf dem Gletscher stand, dachte ich „Mann, noch so viel Zeit. Ich kann ja gleich die nächste Tour machen“. Der Verstand sagte nein. Die Verhältnisse und unbeständigeres Wetter führten dazu, dass wir Chamonix wieder verließen.
Ruhepause in Bern. Ich ging Sportklettern und gelegentlich etwas Joggen. Irgendwie war ich noch immer berauscht und das nächste Ziel stand bald fest: Die Ginat-Route an der Droites-Nordwand. Aber ich spürte auch, dass die Solobegehung anstrengender gewesen war, als ich vorerst angenommen hatte. Müde späte ich eine Woche später aus dem Fenster der Refuge D’Argentiere - zwei Stirnlampen in der Wand und nochmals vier auf dem Weg dorthin... Am Vortag war ich angereist und nachmittags zur Hütte aufgestiegen. Irgendwie wollte sich keine innere Ruhe einstellen. Vielleicht lag es an der ungewohnten Umgebung der Hütte? Normalerweise zelte oder biwakiere ich in den Bergen, eine feste Unterkunft ist mir fremd. Oder lag es an den vielen Menschen, dem überbordenden Small-Talk? Vielleicht war ich schlicht noch müde vom Training, dem Aufstieg und der letzten großen Tour. However - ich legte mich wieder ins Bett und schlief aus. Bei bestem Wetter hing ich auf der Hütte rum...
Die Ginat hatte diesen Winter einige hunderte Begehungen bekommen, im Winter auch eine ‚Speed‘-Begehung von Ueli Steck in 2h08min, der den Rekord von Christophe Profit (2h30min mit offizieller Messung) einstellte. Für mich wäre die Ginat die erste ED-Route (Schwierigkeitsskala ED: Extrem Difficile) im Alleingang. Entsprechend gross war mein Respekt. Ich entschied mich deshalb für eine sichere und gemütliche Begehung in zügigem Tempo, sicher kein Rekordversuch. Für den Abstieg - und um mich notfalls sichern zu können - packte ich ein 60m Halbseil, eine Eisschraube, ein paar Schnüre und Schlingen, eine Daunenjacke, Müsliriegel und 2 l Wasser in den Rucksack. Kurz nach 5 verließ ich die Hütte und schlittere mit den Skiern über den Gletscher. Erst stieg ich mit Steigfellen, später zu Fuß, auf. Es war sehr warm, also deponierte ich die Daunenjacke bei den Skiern, zog die leichte Überjacke aus und stecke sie in den Rucksack. Vor dem Bergschrund machte ich eine Pause. Essen, Trinken und ein Blick aufs Handy: 6:53. Da konnte ich auch bis 7 Uhr warten, steckte das Telefon weg und kletterte los. Mit nur zwei Hemden und einer Leichtgewichtjacke war die Temperatur perfekt.
Der untere Teil ging gut, zügig entlang der Messner-Variante. Ich machte einige kurze Pausen, trank etwas und band am oberen Ende des großen Eisfeldes, unter dem Steilaufschwung, die Schnürsenkel der Schuhe nach.Der Steilaufschwung war dann gar nicht so steil und durch die unzähligen Begehungen löchrig wie ein Schweizer Käse: Gute Stufen und Löcher. Eine der Hand-Halterungen meiner umgebauten Eisgeräte brach ab, so dass ich mich nur noch am glatten Schaft festhalten konnte. Vorsichtig kletterte ich weiter. Im oberen Eisschlauch gab es zwei etwas dünnere Stellen, doch das vorhandene Eis war gut und solide angefroren. Im Ausstiegsschlauch füllte ich mich stark und gab ordentlich Gas, fing an zu schwitzen und erreichte keuchend die Breche. Ich setzte den Rucksack ab, trank einen Schluck und schaute auf die Uhr: 9:55. Gar nicht so schlecht! Und noch genügend Zeit für den Abstieg. Kurz vor 2 erreichte ich die Montvers Bahnstation, gegen 3 Uhr war ich in Chamonix gemütlich zum Mittagessen.
Am nächsten Tag holte ich mein Material ab, unternahm eine kleine Skitour und übernachtete in der Hütte. Ich war zwar müde, fühlte mich aber nicht vollständig ausgelaugt. Also zog ich am nächsten Morgen Richtung Verte los. Das ursprüngliche Ziel musste ich aufgeben - die Vivagel-Route war besetzt. Ich wich nach rechts aus, verpasste aber die große Einmündung in das Bettenbourg-Couloir und kletterte unnötig schwer an einer winzigen vorgelagerten Felsrippe über einen kleinen, steilen, bockharten Eisschlauch. Auch der Ausstieg der Bettenbourg Route war steil und das Eis sehr hart. Die Waden liefen mir zu. Ich musste die Eisgeräte oft mehrfach setzen, bis ich Vertrauen fand. Es war anstrengend, alle 15-20 Meter musste ich etwas Ruhen. Der Flow war weg. Der Spaß auch. Mir wurde kalt. Für das langsame Tempo war ich zu leicht angezogen, doch es war zu steil, um sich irgendwelche wärmenden Kleider überzuziehen. Als ich endlich die Steilstufe hinter mir hat und um die Hände aufzuwärmen mit den Armen ruderte, schrie ich vor Schmerz. Aber es ging weiter, weiter zum Gipfel. Welch herrliche Aussicht! Klarer Himmel zur Mittagssonne, windig, aber warm im Windschatten. Der 1000m Abstieg durch das Couloir Couturier verlangte nochmals vollste Konzentration. Er dauerte lange und er war mühsam. Nach der Abfahrt ins Tal begrüßt mich das grüne Chamonix.
Bei diesem letzten Alleingang stellte sich keine Flow mehr ein, es war eine Qual. Ich freue mich wieder darauf, mit Seil und Partner zu klettern. Das hat auch unzählige Vorteile. Die Sicherheit, die Gemeinschaft, die Gespräche und die vielfältigere Routenauswahl, um nur einige zu nennen.
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Die Zeiten maß ich alle mit meinem alten Mobiltelefon, keine doppelten Uhren oder GPS-Tracking. Es handelt sich weder um Sekundengenau Zeiten noch um Rekorde – dennoch folgen hier die Daten & Routen:
11. April - Schweizer Führe, Les Courtes Nordwand (TD- , bis 75°, 800m) in 1h42min zum Grat, 1h52min zum Gipfel, Abstieg über die Nordostwand (Gesamt 2h58min)
19. April - Le Ginat, Les Droites Nordwand (ED , bis 85°, 1000m), in 2h55min zur Breche, Abstieg nach Süden und über das Mer du Glace nach Chamonix
21. April - Bettenbourg Couloir Variante, Nordostwand Aig. Verte (TD, bis 80°, 900m), 4h08min zum Gipfel, Abstieg über das Couloir Couturier (keine Zeit)
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