Bigwall Erstbegehung (7b+/A1, 700m) am Mount Poi
Poi Imperial College Expedition 2003
Text: Felix Berg (2007) / Bilder: Felix Berg
Nach einem langen Klettertag in Frog saß ich mit Marnix auf dem Dach seines Landrover. Frog (Frosch) ist ein Felsklettergebiet hinter den Ngong Hügeln im Riftvalley, dem grossen Afrikanischen Graben, benannt nach seinem französischen Entdecker. Marnix, in Kenia geboren und aufgewachsen, war über die Weihnachtsferien in seiner Heimat und über einen Kontakt vom Mountain Club of Kenya hatte ich ihn angerufen, um für ein paar Tage klettern zu gehen. Wir genossen gerade selbst erlegte und gekochte Rebhühner im Sonnenuntergang und sprachen über die slowenische Expedition, die eine neue Route am Mount Poi im wilden Norden Kenias einrichtete, als der Entschluss fiel ‚Wir machen den Poi‘.
Der Mt.Poi ist ein Felskoloss, der mit bis zu 800m hohen Steilwänden über die nördliche Steppe Kenias hinausragt. Damals gab es vier Felskletterrouten: Zwei von unten mit natürlicher Absicherung erstiegene Touren über natürliche Linien und zwei in der supersteilen Südostwand von oben mit Haken gebohrte Routen (Todd Skinner, National Geographic und die Slowenien-Tour). Wir nahmen uns vor, eine Linie in der Südostwand von unten zu begehen. Das ist einerseits die größere Herausforderung und wird andererseits von einem Großteil der Kletterszene als der einzig faire Begehungsstil für höhere Wände anerkannt. Marnix bereitete einen guten Antrag vor, so dass die Tour vom Imperial College Expedition Board unterstützt wurde, und brachte mit Peter Horsey und James Nutter alias Kid noch zwei seiner Universitätskommilitonen mit. Für die Erstbegehung brachten sie aus Europa ein Haufen Material mit: Seile zum Fixieren, Karabiner, Klemmgeräte (3 Sätze Friends, vier Sätze Keile und Hexcentrics), 50 Schlaghaken, eine Benzin-betriebene Bohrmaschine sowie 250 Bohrhaken. Zwei Tage waren wir in Frog und Lukenya, den zwei nächsten Gebieten um Nairobi, um uns besser kennen zu lernen und das Material zu testen. Dabei bohrten wir einige neue Sportkletterlinien, um die anschließend zu klettern. Schließlich kümmerten wir und noch um die letzten Einkäufe, Essen (hautsächlich Mehl, Reis, Pasta, Linsen, Peanut Butter, Tomaten und Chilis) und 120 Liter Benzin in Kanistern.
In Nairobi beluden den 60er Jahr Landrover von Marnix und einen mit viel Liebe umgebauten 250PS Peugeot 504 Rally-Wagen von Pete´s Familie. Zwei abenteuerliche Tage Autofahrt brachten uns Über Thika und Timau am Mount Kenia vorbei nach Isiolo zur ‚Äthiopien -Autobahn‘ (eine breite Sandpiste) in den wilden Norden. Während Marnix und ich langsam und stetig mit 80 Spitze Richtung über die schlechten Strassen holperten, fuhren Pete und James im Peuguet mit 160 bis 180 Stundenkilometer an uns vorbei und warteten dann wieder. Einige Reifen waren zu wechseln, dann brach der Stossdämpfer und einmal mussten wir Pete aus dem Treibsand eines getrockneten Flussbettes mit einem 50m-Kletterseil abschleppen! Dennoch erreichten am Abend des zweiten Tages die kleine Ortschaft Ngurunet am Fuss des Berges. Im lokalen Regiestationsbuch war mit Stefan Glowasz, Kurt Albert und Co. eine weitere bekannte Klettergruppe eingetragen, so dass wir bangten, das Erstbegehungsziel sei schon realisiert. Wir verhandelten einige Stunden mit dem Dorfhäuptling um Träger zum Materialtransport und um die Wasserversorgung – angesichts des regen Interesses (die dritte grosse Expedition innerhalb von einem Jahr) nicht gerade leicht. Samburu, der dort ansässige Stamm, sind stolze Krieger, bei denen die Männer sich schmücken. Marnix´s ausgeprägte Suaheli Kenntnisse waren hilfreich. Wir einigten uns, und zogen mit einen Tross von Samburu Kriegern los.
Nach einem 6-stündigen Anstieg richteten wir uns auf einer Anhöhe gegenüber den massiven Wänden des Mount Poi gemütlich ein. Unsere Lager bestand aus zwei Schlafzelten, einem Materialzelt und mit der Zeit richteten wir uns eine Feuerstelle mit Steinofen ein. Ein kleiner Pfad, den wir stellenweise mit Macheten ausbesserten, führte uns am ersten Tag zum Wandfuss. Wir stiegen einige Seillängen der Amerikaner- Route und erkundeten dann unsere geplante Aufstiegslinie. Am Einstieg entdeckten wir eine neue Bohrhakenleiter, die jedoch in einem glatten Wandteil rechts unserer Linie endete.
Das Thema Schlangen hatten wir im Vorfeld diskutiert. Das nächste Krankenhaus war zu weit weg, unsere Lage zu abgelegen und ohne Kühlung konnten wir kein Anti-Gift-Serum lagern, also beschlossen wir, die Lösung sei, nicht gebissen zu werden. An einem der ersten Tag lief ich knapp 20m hinter Marnix Richtung Wand, beide mit schwerem Rucksack. Ich war gerade ein paar Meter einen Aufschwung hinaufgeklettert, wollte am Ausstieg mich aufrichten, da sah ich die Kobra. Direkt vor meinem Gesicht erhob sich der weiss-sandige Bauch einer Schlange mit markant eckigem Kopf, vermutlich eine Sandkobra. Marnix sah mich nur noch durch die Lüfte fliegen. Ohne zu zögern sprang ich nach hinten ab, fiel knapp 5m tief in ein weiches Gebüsch hinein. Der Biss wäre absolut tödlich gewesen, im Oberköper vermutlich auch innerhalb kürzester Zeit.
Etwas bedachter beim Zustieg, widmeten wir die nächten Tage ganz unserer geplanten Erstbegehung. Wir folgten einer grossen Struktur an Rissen und Verschneidungen, die wir grösstenteils selber absichern konnten. Jedoch war die Felsqualität recht miserabel. Angesichts der sandigen Oberschicht des Felsens sowie vieler loser Steine sehnten wir uns bald zurück nach dem festen und stabilen Fels von Frog und sicherten gelegentlich Zwischensicherungen und die Standplätze mit Bohrhaken ab. Wir hatten gerechnet in der glatten Wand viel mehr Bohren zu müssen, uns deswegen gegen einen leichten Akkubohrer und unzählige teure Akkus entschieden und eine schwere Benzin betriebene Bohrmaschine mitgenommen. In der Wand, an einem kleinen wackligen Kliff hängend, oder sogar in der Kletterposition, das 7 Kilo schwere Monster raufzuziehen und dann per Reisleine zu starten war jedes mal ein kleines heikles Abenteuer in sich. Einmal fiel Marnix, während die Bohrmaschine über seinen Kopf stecken blieb, 5 Meter ins Seil, doch verlief das Einreichten insgesamt gut und zügig. In der ersten Woche fixierten wir den unteren Teil mit Fixseilen. Dabei arbeiteten abwechselnd Zweier- oder Dreier- Teams für jeweils einen Tag in der Wand, gingen 2 bis 3 neue Seillängen und putzten die lockeren Steine, teilweise ganze Felsblöcke aus der Wand. Unten wurde derweil der Lagerplatz immer gemütlicher, es wurde gekocht und Brot gebacken. Die 20 Liter Wasser am Tag, die gebracht wurden, reichten besser als erwartet aus. und die Aussicht auf die nördlichen Savannen Afrikas war eine fabelhafte Belohnung unserer Mühen.
Als wir 400m fixiert hatten, das tägliche Hochsteigen an den Seilen wurde immer anstrengender, übernachteten wir oben in Hängematten. Wir brauchten 13 Seillängen, 500m Felskletterei und 8 Tage, bis wir endlich eine schöne feste Verschneidung erreichten, die wir ‚Welcome to Frog’ tauften. Nach einer kurzen Querung in einer der grossen Höhlen im oberen Wandteil folgte in der 15.Seillänge die luftige Schüsselstelle über einen überhängenden Bauch und eine abdrängende Wand. Nach einer Nacht in der Hängematte sicherte mich Kid bei der Einrichtung der Seillänge, die ich anschliessend noch frei durchsteigen konnte. Am selben Tag vollendeten wir die Route zum Gipfel und seilten uns wieder ab: 750m und 17 Seillängen mit 42 Bohrhaken als Zwischensicherung. Kid und Peter fuhren schon heim, während ich und Marnix noch zwei Tage blieben. Wir versuchten die komplette freie Begehung an einem Tag, scheiterten aber an einer abdrängenden Riss-Kamin Seillänge. Wir bauten dann noch die Fixseile ab, räumten das Lager und ließen auch zwei zusätzliche Träger den Müll der vorherigen Expeditionen runterbringen.
Während der Autofahrt bemerkten wir, dass uns Benzin aus dem Tank geklaut worden war! Und zwei Tage Fahrt lagen vor uns. Wir wechselten uns beim Fahren ab. Während ich fuhr, schlief Marnix auf dem Dach. Einmal hätte ich ihn fast vom Dach geworfen, als ich ein Flussbett etwas schnell erwischte. Uns begegnete ein Pick Up Truck voll mit Ak47 Kalaschnikow Maschinengewehren bewaffneter Männer, die mir nicht geheuer waren. Lieber übernachteten wir abseits der Strasse im Wilden bei der ‚Dessert Rose‘ Farm in einer unwirklich schönen Landschaft. Am nächsten Tag füllten wir das Reserve-Benzin in den Tank und fuhren weiter.. In einer kleinen Tea-Stube bei Baragoi genossen wir morgens den mit Ingwer und Zimt gewürzten Tea des Somalischen Besitzers – das hervorragendste Getränke seit langem. Doch Benzin gab es dort keines. Dann ging steil Bergauf in die höher gelegene Teaplantagen um Maralal. Dort erreichten wir die Zivilisation, schafften es gerade noch mit 3 Litern Reserve zur ersten Tankstelle! Nach einem weiteren Tag, Aufenthalt und Rast beim Lake Naivasha, kamen wir sicher und wohlbehalten nach Nairobi, wo und Marnix´s Vater mit Champagner und italienischen Essen glücklich empfing.